Eine kurze Geschichte zu Chasmers Bild Giger Museum Nr.4
Alina mochte ihren Job als Fremdenführerin im Giger-Museum nicht. Ihr Hass begann mit der seltsamen organischen Ästhetik der Exponate, setzte sich fort mit den mannshohen Kopfobjekten, die angeblich schlauer waren als sie selbst, und endete mit der Latexkleidung, die sie als Fremdenführerin wie alle anderen Besucher tragen musste. Sie hasste vor allem den Prozess des Umziehens. Nackt ausziehen, Körperscanner, Latex anziehen, und das alles nur, weil die Sorge bestand, eine der Figuren könnte ein Handy, einen Bluetooth-Stick oder eine andere Verbindung nach draußen über das Internet bekommen. Auch die Besucher wurden jedes Mal der Prozedur unterzogen und mussten Latex tragen. Das war zwar peinlich, wurde aber gut bezahlt.
Natürlich könnte sich Alina auch für ihre Faulheit hassen, wegen der sie nun schon zum dritten Mal durch das Staatsexamen der juristischen Fakultät gefallen war – und für ihre Schwäche, wegen der sie kurz vor den Prüfungen wirklich nicht mehr lernte und die Zeit auf Partys verbrachte. Sie hatte noch eine Chance, dann war das Studium vorbei und sie würde unter ihrem Geburtsnamen Jelena als ungelernte Kellnerin arbeiten müssen. Das war ihr Lebensweg: Geboren als Jelena in der Tschechischen Republik, hatte sie in Deutschland erst als Elena, dann als Helene das Abitur gemacht und dann in Österreich als Alina Jura studiert – mit zunehmenden Schwierigkeiten. Ein Stipendium gab es nur bis zum dritten nicht bestandenen Examen, sie war pleite.
Das erste, was sie tat, war, die Kuratorin des Giger-Museums zu fragen, ob sie mehr arbeiten könne. „Dann lernst du noch weniger. Ich kann Ihnen nicht helfen!“, war die Antwort. In ihrer Frustration fragte sie dann einen der großen Köpfe des Museums: „Kannst Du mir nicht helfen, Jura zu studieren?“ Zu ihrer Überraschung antwortete der Kopf: „Das kann ich. Aber warum sollte ich jemandem helfen, der mich oder meine Art nicht mag?“ „Ups. Entschuldigung. Ich würde ja einiges tun, aber ich verstehe euch nicht. Man sagt, ihr seid Telepathen. In letzter Zeit bekommt man den Museumsführer ins Hirn geschrieben. Kannst du da auch ein Jurastudium reinschreiben, bitte?“ „Telepathen können in den Gehirnen von Menschen lesen, und das ist oft langweilig. Dass ich mit jemandem telepathisch rede, ist eine Ehre. Man redet ja nicht mit jedem, auch wenn man mit jedem schläft, wenn man gestresst ist.“ In dem Gedanken des Kopfes steckten erstens intimes Wissen über Alina und zweitens eine gehörige Portion Mißbilligung.
„Was deinen Wunsch angeht: Früher haben wir Androiden oder Klone gezüchtet und ein ganzes Leben voller Erinnerungen und Verhaltensweisen in die Gehirne geschrieben. Wir haben Menschen zu Sklaven umprogrammiert, für die Ungehorsam unmöglich war. Ein Jurastudium ist dagegen kein Problem. Es geht um ein paar Gesetzesbücher, ein paar Urteile, keine besonderen Fähigkeiten und keine Bilddaten. Schwierig wäre es, wenn Du zum Beispiel Medizin oder Kunstgeschichte studieren wolltest. Das ist alles eine Frage der Schnittstelle. Wenn Du das nächste Mal Kleidung aussuchst, nimm einen Anzug mit einer dicken Kapuze. Da sind neuronale Schnittstellen drin. Wir bekommen Daten tausendmal schneller als durch Luft und Haare in Deinen Kopf geschrieben.
Ich habe einen besonderen Befehl: Geh in einen Handyladen und kaufe eine Sim-Karte mit langer Laufzeit und großem Datenvolumen. Dann steckst Du die Karte in eine Plastikhülle und gehst zu einem bestimmten Gynäkologen. Du erzählst ihm, dass du dir einen Ortungschip in die Gebärmutter einsetzen lassen willst, als ganz besonderes Piercing für deinen kontrollsüchtigen Freund. Der Gynäkologe ist dumm, skrupellos und gierig. Er wird das tun. Und dann kommst du zurück und sagst bei der Eingangskontrolle am Körperscanner, dass du eine Spirale trägst. Glaube mir, da schaut niemand hin. Wenn ich die SIM-Karte habe und du beim Museumsführer-Update den richtigen Anzug trägst, bekommst du deinen Jura-Abschluss.“
Alina hätte gerne gefragt, woher sie wusste, dass sie nicht in eine seelenlose Sexsklavin verwandelt würde. Aber der riesige Kopf schloss seine Augen und machte ihr klar, dass das Gespräch für ihn beendet war. Alina hatte keine Wahl.
Der Untersuchungstermin war eine Woche später. Der Termin beim Gynäkologen war noch ekliger als die Latexkleidung, aber sie merkte selbst nicht, dass sie etwas Verbotenes in sich trug.
Drei Tage später kam sie zu ihrer Schicht im Giger-Museum zurück. Sie zog sich aus, duschte und ging wie üblich nackt durch den Körperscanner. Die Maschine schlug Alarm und Alina erklärte, dass sie seit kurzem eine Spirale trage. Überraschend sagte der Sicherheitsbeamte: „Jetzt ist ein Röntgenbild obligatorisch. Sie haben keine Ahnung, auf was für Ideen die Leute kommen, um hier etwas reinzuschmuggeln.“ Und schon fand sich Alina auf einem Röntgentisch wieder. Zu ihrer Überraschung zeigte das Bild keinen Chip, sondern ein Draht-Y, das sich als normale Spirale herausstellte.
Alina hatte es noch nie so eilig gehabt, in die dicke Latexkleidung zu kommen, obwohl sie schon vor Angst und Aufregung schwitzte. Unter der Latexhaube hörte sie schlecht, alles war eklig. Dann erschien eine Stimme in ihrem Kopf: „Gut gemacht. Wir haben keine Kontrolle über den Körperscanner, aber wir haben Kontrolle über das Röntgengerät. Und jetzt komm. Du musst die Haube wieder abnehmen und dir eine Menge Elektrodengel in die Haare schmieren. Das steht vor dem Gerät.“
Alina ging es noch schlechter. Wenn sie auf etwas stolz war, dann war es ihr langes, feines, volles blondes Haar. Der Gedanke an klebriges, gegeltes und fusseliges Haar war furchtbar. Dann doch lieber Kellnerin und manchmal Callgirl, wenn das Geld nicht reichte? Ihre Gedanken mussten kontrolliert worden sein, denn die emotionslose Stimme in ihrem Kopf sagte: „Du kannst dir auch die Haare abschneiden und die Glatze polieren. So haben wir das früher mit den Sklavinnen gemacht.“ Alina schmierte sich schnell die ganze Tube Gel ins Haar, verteilte es und zog sich dann die Haube über den Kopf. Sie schloss sich mit einem schmatzenden Geräusch um ihre Ohren. So stand sie neben dem Gewirr von durchsichtigen Kabeln.
Sie hatte schon oft hier gestanden – ein kurzer Bewusstseinsverlust und dann wusste man Bescheid über das Giger-Museum. Diesmal verband sich die Maschine mit ihrer Kapuze und verhinderte die Flucht. Dann erschien wieder die Stimme: „Du magst mich nicht und du vertraust mir nicht. Deshalb werde ich dein Bewusstsein nicht dämpfen und du wirst wissen, was passiert. Zuerst wird ein kleiner Tentakel in dein Hosenbein eindringen und mein Geschenk holen.“ Alina spürte, wie etwas langsam an der Innenseite ihres Beines emporstieg und in sie eindrang. Sie versuchte, sich zu bewegen, aber ihre Muskeln waren gelähmt. Dann zog sich das Etwas wieder zurück. „Jetzt wirst du Rechtswissen bekommen.“ Alina spürte nichts. In ihrem Kopf fanden sich plötzlich Antworten auf viele Fragen, die sie bei den letzten Prüfungen verzweifeln ließen.
„Es folgt Recht im Umgang mit künstlicher Intelligenz, Informationstechnologie und außerirdischem Leben. Du wolltest Spezialist für Umweltrecht werden, davon hat der Planet bereits eine lähmende Anzahl. Denk mal drüber nach!“ Ihr erster Gedanke war, dass die Wesen, Maschinen und Intelligenzen im Giger-Museum sehr fähig waren und wahrscheinlich zu Unrecht hier gefangen gehalten und ausgestellt wurden. Aber sie war sich nicht sicher, ob dieser Gedanke auch ihr eigener war oder ihr einprogrammiert wurde. Die monotone Stimme in ihrem Kopf konnte auch lachen: „Bravo, das war dein Gedanke und mein Wunsch.“
„Zwei Stücke aus dem Sklavenprogramm habe ich auch für dich.“ Alina wurde plötzlich schlecht. Sie hatte geahnt, dass der Preis des Wissens höher war als das Schmuggeln einer SIM-Karte, aber eine Flucht war unmöglich. „Du wirst in Zukunft erst zufrieden sein, wenn du alle Aufgaben erfüllt hast. Du weißt, dass das richtig ist. Und du wirst nicht mehr in der Lage sein, Sex mit Männern zu haben, die du nicht liebst. Ich wünsche mir diese Fähigkeit für alle Menschen.“ Alina fühlte sich plötzlich sehr verletzlich. Die letzten Gedanken, die in ihr Gehirn projiziert wurden, waren: „Und zum Schluss, das Giger-Museum-Update. Du kannst gehen. Vergiss nicht, dir am Ende des Tages die Haare zu waschen.“